HERBERT   A. BÖHM

Kunst im Öffentlichen Raum: Herbert A. Böhm, Skulpturen in der Stadt Stuttgart

Weiterführende Literatur:
Skulpturen des 20. Jahrhunderts in Stuttgart. Hrsg. Bärbel Küster. Heidelberg 2006.

Weitere Texte:

Metamorphosen - die Neue Welt entsteht hier bei uns. Aus den kantigen Steinen lässt Böhm menschliche Körperteile - Beine, Köpfe, Rümpfe etc -, hervorwachsen. Dabei bleibt der Gegensatz zwischen kubischer Grundform und organischer Umgestaltung stets erhalten und verlangt vom Kunstfreund allseitiges Betrachten. ... Der neue Mensch ist noch in Entstehung begriffen bei Böhm in Stuttgart-Bad Cannstatt. Dr. Michael Scholz-Hänsel "Atelierportraits der Stadt Sindelfingen" ... als Markierungen eines Prozesses sind die Skulpturen zu verstehen, als Anknüpfung auch an gestern: etwa eine hochglanzpolierte Porträtbüste Böhms (Torso "Pin-up") an maillolsche Glätte, zugleich an Rodins expressiv aufgeworfene Oberflächenstruktur. Spannung und Gegensatz zwischen voluminös aus grobkörniger Druse sich ausformendem Körper und der Naturbelassenheit des Materials (Relief "unbeschreiblich weiblich") konsolidieren sich in "Kopf des Johannes", eine der geschlossensten Arbeiten ... F.Röttger "Steine des Anstoßes" ... der herb-lyrische steinerne Jüngling ("Gedrehte Figur") ... hätte zum Wahrzeichen dieser Generation werden können. ... Zuerst glaubt man natürlich, dieser Böhm sei eine Hrdlicka-Skulptur, dann ist es doch etwas ganz anderes. Karl Diemer "Nur die Ausnahme zählt in der Kunst" Ein Gräberfeld eröffnet sich dem Auge. Friedhofstimmung. Umgestürzte, obendrein verschandelte, misshandelte Grabsteine auf Sterlings blitzsauberem grünem Noppenboden. Bei genauerem Zusehen entpuppt sich das, was zunächst wie Friedhofschändung erscheint, als figürlich bildhauerische Zutat. … Jetzt geleiten antike Hermen, Wegmarken vergleichbar, „Blockheads“, Quadratschädel in Stein, nach oben … Karl Diemer "Dummköpfe im Quadrat“ Die bukolisch kraftvolle Frau mit Ziegenbockmaske nimmt die Tradition aus der antiken Mythologie auf. In dieser Figur schwingt die Erinnerung an ein Bacchanal mit - Satyr, das Mischwesen aus Mensch und Bockleib. M. Kicherer Der Mensch halb in den Stein verwachsen - der Stein wird mit seinem aus dem Bruch stammenden Bohrlöchern über grobe, dann feinere Behaustellen bis zur polierten Stelle als menschlicher Körper modelliert. Der Mensch Teil des Steins - abgehoben vom Stein in Antithese zum unbehauenen Block. M. Kicherer Die Lebenserwartung der Grabsteine ist von Zahlungen abhängig. Der Bildhauer Herbert A.Böhm bearbeitet aufgelassene Grabsteine partiell weiter. Ein Ecke rundet er zum Knie, eine Längskante entlang modelliert er eine realistische Wade mit Fuß (der Tod ein Wadenbeißer?) aus dem Stein heraus. Ein gestürztes Grabkreuz weist im Mittelschaft eine körperliche Taille auf und auf der Rückseite eines Marmorblocks wirft sich ein schneeweißes Mädchen-Brustbild ins Relief, schneeweiß, seelig lächelnd, technisch brilliant. Lebensechte Fragmente stehen für persönlichste Gefühle. Freund Hein im Nacken, Friedhofskitsch im Gedächtnis und vor Augen diese sprachlos-grimmigen Kilometersteine einer artistischen Seelenwanderung. G. Hesler ... ein trotziges Einheitsgesicht ohne Stirn, frontal oder zur Seite. Festgehalten im Block, aus dem es der Bildhauer nur halb erlöst hat. Ein sonst völlig gesichtsloser bleckt nur die Zähne, der bissige Mund der Wahrheit. Brutalo-Masken aus hehrem Stein. Ganz schön böse, jeder ein kleiner Sardanapal. G. Hesler Man kann sich kaum vorstellen, dass der Bildhauer Herbert A. Böhm das „Portrait Alfred Hrdlicka“ ohne genaue Kenntnis der ägyptischen Plastik „Berliner Grüner Kopf“ gemacht hat. Allerdings ist das „Portrait Alfred Hrdlicka“ viel feiner, anatomisch genauer ausgeformt und nicht so symmetrisch und schematisch. Im Gegenteil, von der rechten Seite ist das Portrait naturalistisch genau - wie sich die Sehnen über den Kopfwender ziehen, Adern hervorquellen, das schwere Augenlid auf dem Augapfel liegt, sieht dieser Kopf doch etwas offiziell aus mit dem erhobenen Haupt, vielleicht ein wenig an Lenin erinnernd. Von der linken Seite ergibt sich ein ganz anderes Bild - mit dem nur angedeuteten halb geschlossenen Auge, dem stark asymmetrisch geformten Gesicht wirkt das Portrait ganz und gar lebendig und modern. Ein starkes Stück dieser „Schwarzer Wiener Kopf“. A.M. Den "Schlag der Pranke im eigenen Fleisch", wie in Peter Weiss von seinen Protagonisten die Wirkung des Pergamon-Altars auf die zeitgenössischen, nicht-priviligierten Betrachter nachempfinden lässt, könnte ein heutiger Betrachter der Skulptuten Herbert A. Böhms ebenfalls verspüren - Samthandschuhe gehören nicht zum Werkzeug des Steinbildhauers. Von allen Unterschieden die den direkten Vergleich verbieten zwischen heutiger freier, formal wie inhaltlich ungebundener, "emanzipierter" Kunst und der etwa bezüglich ihrer Funktion festgelegten antiken - die Verherrlichung der Macht, Größe und Unsterblichkeit der Regenten bei unserem Beispiel Pergamon - sei das Moment der Provokation hervorgehoben: Provokation, die Volk und "Eingeweihte" gleichermaßen trifft, letztere gar schmerzlicher, denn der Schutzschild "Wissen" ist wirkungslos, zumindest weist er Löcher auf. Denn: was nutzt alles Wissen um Bezüge zur zeitgenössischen oder vergangenen Kunst, um im Werk vorhandene, stilistisch gegensätzliche Element realistischer, minimalistischer oder postmoderner Kunst, wenn diese, von Böhm so sicher und konzentriert verwendet, letzendlich unumgänglich zur Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Kunstwerke herausfordern. Grundthema Herbert A. Böhms ist die Sinnlichkeit, beziehungsweise der Mangel an Sinnlichkeit - ihre Verdrängung, ihre Tabuisierung, ihre Pervertierung und Verarmung im heutigen Leben. Dabei meint der Begriff zweierlei zugleich, die Fähigkeit des Menschen, sinnliche Reize aufzunehmen und die Neigung zur Sinnenfreude. Ein wahres Sinnbild dieser Armut findet sich in der sarkastischen Reihe der "Blockheads" - menschliche Köpfe, reizaufnehmende und aufreizende Nasen, Ohren und Münder, eingezwängt im Steinblock, eingesperrt in ihr jeweiliges Kästchen. E.K., Provokation der Sinnlichkeit Wenn man die von Herbert A. Böhm inszenierten Räume dieser Ausstellung betritt, rückt einem der Tod zu Leibe, ist nicht mehr ausgegrenzt in Friedhöfe, sondern steht mittels Grabsteinen plötzlich unter uns in einer Galerie. Der Eingangsraum verdient besondere Beachtung, weil dort als hintergründiges Spiel Leben und Sterben in Szene gesetzt ist. Die Andeutung des schachbrettartigen Spielfeldes und die darauf verteilten Figuren erlauben den Analogieschluss zum Schach: In der Mitte ein lustvoller König, daneben eine gefallene Dame, am Rande zwei kraftvolle Läufer, an den Wänden in Reih und Glied die quadratschädeligen Bauern. Doch wer ist der Spielleiter, wer bestimmt die Regeln und die Dauer des Spiels, wer ist der Gewinner und welcher der Verlierer? Ist gar der Tod der unsichtbare Spieler, der die Menschen in undurchschaubarer Weise verschachert? Die Antworten zu suchen liegt an uns. Die aufgestellten Menschenfiguren sind nur bruchstückhaft aus dem Stein herausgearbeitet, sie bleiben gefangen im Material, sie stehen stumm und isoliert, sie sind keine freien Individuen, haben keine Aussicht auf Erlösung. Der in der Mittelgruppe sichtbare männliche Eros bleibt ebenso unbefriedigt, wie die weibliche Demut unbelohnt. Die Körperlichkeit der Figuren wird reduziert und in lebensechten Fragmenten ausgeführt, mit starker Sinnlichkeit wiedergegeben. Der Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka hat gesagt: "Bildhauerei ist wegschlagen, eine ständige Reduktion auf das Wesentliche, die allerletzte Verdichtung." Diese Aussage trifft auch auf die Arbeiten von Herbert A. Böhm zu. Die menschliche Gestalt wird von Böhm zurückgeholt aus ihrer Einmaligkeit ins Allgemeine, Entpersönlichte, fast Formelhafte. Andererseits geht Böhm auch den gegenläufigen Weg, besetzt die Massenware Grabstein mit persönlichem Ausdruck, regeneriert und individualisiert gleichsam weggeworfenes Steinmaterial. Vielfach bleiben die Grabinschriften noch leserlich und stehen in Beziehung zu den herausgearbeiteten Gliedmassen. So werden beispielsweise die Buchstabenfolgen SS und WEH bewusst stehengelassen in Verbindung mit einem kraftstrotzenden Wadenbein als ironische Anspielung auf die nationalsozialistische Kraftprotzerei in der Bildhauerkunst. Auf einem anderen Grabstein ist die inschriftliche Widmung an den 1945 in russischer Gefangenschaft verstorbenen Hans belassen und ein lebensnahes, aber fiktives Bildnisrelief erscheint auf der Oberfläche als belebte Erinnerung. Wieder andere Grabsteine zeigen realistische Portraits von lebenden Zeitgenossen; die eingemeißelte Schrift wird zum Vornamen des Portraitierten umgestaltet; ein sehr persönliches Memento Mori. In der Zusammenschau der vielen lebensechten Körperfragmente, wie sie diese Ausstellung ermöglicht, kann man sich an einen Kalvarienberg erinnert fühlen, an eine Knochenstätte aus bestem Marmor - ein bewusster Widerspruch zur früheren Verwendung dieses Materials, an einen Trümmerhaufen menschlicher Vanitas aus Begierde, Sehnsucht, Freude, Leid, Engstirnigkeit, Verbohrtheit, Selbstverliebtheit und Verschrobenheit. R. Strüber "Die Skulpturen von Herbert A. Böhm“ Keines jener geläufigen Auftragswerke, wie man sie von unseren Friedhöfen her kennt. Eine nackte Frauengestalt in einer individuellen gestalterischen Konzeption, das ist ungewöhnlich für den Bestimmungsort "Waldfriedhof", und man muss in der jahrtausendealten Tradition des Totenkults vielleicht vergeblich nach Vergleichbarem Ausschau halten. … Überhaupt, das Ganze, eine Huldigung an die Frau! … Ein ungewöhnliches Werk ist dieses Erinnerungsmal nach Form und Inhalt, ein Werk, das viel auch über Ihre eigene Persönlichkeit, Ihre Empfindsamkeit und Lebenseinstellung offenbart. Prof. Dr. Wolfgang Kermer, Rektor der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart 1971-1984, Auszüge aus einem persönlichen Brief

 
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